Captain Boomer Collective: «Unsere Kunst wird die Welt nicht retten, aber die Leute berühren»

In einer Nacht-und-Nebel-Aktion installierte das belgische Kollektiv «Captain Boomer» einen lebensgrossen Pottwal an den Zürcher Utoquai. Mit der Kunstaktion wollen sie gleich auf mehrere Themen aufmerksam machen: den Meeresschutz, die Klimakrise, die Umweltzerstörungen und das Artensterben. Koos Hogeweg ist einer der Aktivisten und erklärt im Interview, was die Beweggründe hinter der Aktion sind.

Der Aktivist vom «Captain Boomer Collective» auf dem scheinbar angeschwemmten Pottwal am Utoquai in Zürich.
Koos Hogeweg insziniert sich als Forscher, der den scheinbar gestrandeten Pottwal in Zürich untersucht. © Vanessa Gygax

«Pottwal am Zürichsee gesichtet», «Ungetüm am Seebecken» und weitere Schlagzeilen machten die letzten Tage die Runde – auch wir berichteten über den Fund eines scheinbar angeschwemmten Pottwales. Tausende Menschen versammelten sich um den 16.5 Meter langen Meeressäuger am Utoquai, weinten und schwiegen, machten Fotos und stellten Fragen. Keine Frage: Der tote Pottwal hat die Passant:innen berührt. Und genau das soll Klimaaktivismus auch machen – findet Aktivist Koos Hogeweg im Interview.

Zur Person: Der 59-Jährige Niederländer ist Teil der selbst erschaffenen «International Wheel Organisation». Gemeinsam mit dem interdisziplinären Kollektiv «Captain Boomer» insziniert sich Koos Hogeweg als Forscher beim Projekt «Whale», das in Zürich für Aufsehen sorgte. Die zehn anwesenden Aktivist:innen nehmen dabei unterschiedliche Rollen ein: Sie spritzen den Wal regelmässig ab, entnehmen Blutproben und nehmen Masse.

Jetzt mal ehrlich: Wie bitte kommt denn ein Pottwal an den Utoquai?

Wir hätten auch eine tote Crevette hinlegen können. Doch die sieht man nicht. Der Pottwal hingegen ist eines der grössten Säugetiere der Welt und das letzte Grosstier im Meer, von dem wir wissen. Eigentlich sollte er aber gar nicht hier sein – doch das ist erst der Anfang von dem, was noch passieren wird. Es wird nicht bei diesem einen Pottwal bleiben.

Eine Theorie besagt, dass die Nordsee zu warm geworden ist, weshalb der Pottwal flüchtete. Sein Zuhause brennt. Also folgt er dem kühlen Wasser, den Rhein und die Aare hinunter, bis er hier im kühleren Zürichsee gestrandet ist. 

Mit der Aktion wollt ihr das Bewusstsein der Schweizer Bevölkerung auf den Schutz der Meere sensibilisieren. Wir haben aber kein Meer hier. 

Hast du gewusst, dass wir jede Woche Plastik in der Menge einer Kreditkarte essen, trinken und einatmen?* Bei Walen, die eine riesige Menge Wasser und Nahrung aufnehmen, ist es noch viel mehr! Da sind auch PET-Flaschen und Verpackungen dabei, die sich dann im Magen ablagern. Dadurch hat der Wal das Gefühl, keinen Hunger zu haben – in Wahrheit jedoch stirbt er elend, weil er verhungert und keine Energie hat.

Und genau dieser Plastik kommt auch über Flüssen wie der Limmat ins Meer – beispielsweise nach der letzten Street Parade, als tausende Menschen feierten. Wie viel Abfall ist an diesem Tag wohl in den Fluss oder See gelangt?

*(Anm. d. Red.: Studie vom WWF)

Kann Kunst uns denn dabei helfen, einen Weg aus der Klimakrise zu finden?

Vielleicht ist es Kunst … Doch es ist die Philosophie, die dich weiter hinterfragen lässt und die Wissenschaft, die es beweist. Zusammen sind sie ein multidisziplinärer Weg, um Dinge zu ändern, die Leute zum Denken anzuregen und neugierig zu machen. Denn wenn sie etwas nicht mehr berührt, bewegt es sie auch nicht mehr. Unsere künstlerische Lösung wird die Welt zwar nicht retten, aber vielleicht bewegt es die Leute in diese Richtung. Durch die Kunst werden sie wieder berührt.

Meistens glauben die Leute alles. Doch wenn du ein Tier wie dieses hier hinstellt, trauen sie plötzlich ihren Augen nicht mehr. Sie fangen an, viele Fragen zu stellen und wollen alles über diesen Pottwal wissen – doch diese Infos haben wir nicht. Und darum fragen sie weiter. Sie fragen sich selbst, ist es wahr?

Wie sieht denn dieser Klimaaktivismus aus?

Wir sollten uns miteinander verbinden und versuchen, die persönlichen Dinge zu vergessen – ob jemand Fleisch isst oder Lederschuhe trägt, spielt keine Rolle. Die Welt steht nicht nur in Flammen, sie brennt bereits seit fast 10 Jahren! Wenn ein Wissenschaftler dir sagt, dass etwas schiefläuft, bedeutet das nicht, dass wir nicht mehr leben können. Wir geniessen das Leben immer noch. Aber wenn dir jemand sagt, dass dein Haus brennt, dann unternimmst du etwas.

Während der Coronapandemie haben wir erlebt, dass wir ein Leben führen können, das die Erde nicht zerstört. Diejenigen an der Macht sind also fähig, etwas zu ändern, aber sie unternehmen nichts – aus welchen Gründen auch immer. Wir sollten uns darum nicht auf diese Leute fokussieren oder einen Kampf starten und gewalttätig werden. Das Einzige, was wir unternehmen können, ist einen kreativen Weg zu finden, damit die Leute Fragen stellen und für sich selbst denken – so wie wir es hier am Utoquai täglich beobachten können. Neugier wird die Welt retten!

Was ist deine grösste Hoffnung in Bezug auf den Klimawandel für die Zukunft?

Der römische Philosoph Augustinus von Hippo sagte einmal: «Hoffnung hat zwei schöne Töchter. Sie heissen Wut und Mut. Wut darüber, dass die Dinge so sind, wie wir sie sehen. Mut, sie zu ändern.» Das stimmt mich hoffnungsvoll, denn die Kinder heutzutage sind aufgeweckt und haben Energie. Die Kinder hier am Utoquai haben noch nie einen so grosses Tier an der Küste gesehen und wollen wissen, wie schnell der Pottwal schwimmen kann, wie gross er ist – sie sind interessiert.

Die Fragen, die sie stellen, sind grossartig und sehr wichtig für ihre Neugier. Diese Art der Fürsorge – nicht das Teilen oder Besitzen wollen, sondern sich wirklich um jemanden oder etwas kümmern – ist so wichtig. Wir sind alle zusammen auf dieser Welt und müssen aufeinander schauen.

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